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Helmut P. Ortner im Gespräch mit Silvia Höller

 

In Ihren Arbeiten verbinden Sie collagenartig Malerei, Zeichnung und Text. Wie ist dabei Ihre Herangehensweise? Arbeiten Sie mit Vorstudien oder setzen Sie Ihre Ideen eher spontan um?

Ich arbeite grundsätzlich ohne Vorstudien, mache mir allerdings permanent schriftliche Notizen über Gesehenes, Gehörtes und Gedachtes. Diesen niedergeschriebenen Spuren, die auch aus einem einzigen Wort bestehen können, entspringen dann Ideen für meine Arbeit. Des Weiteren ist Literatur eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Beim Lesen entstehen stetig Bilder im Kopf, Ideen werden geboren, die entweder umgesetzt oder wieder verworfen werden. Spontane Umsetzungen, im Sinne eines ziellosen Beginns, gibt es nicht.

 

Sie verwenden vielfach Buchdeckel als Bildträger. Bücher sind für Sie aber auch inhaltlich wichtige Inspirationsquellen.
Aufgrund meiner Leidenschaft für Bücher ist es für mich naheliegend, Buchdeckel als Bildträger meines kleinformatigen Œuvres zu verwenden: Alte Bücher werden gesammelt, auf Dachböden aufgestöbert, aus Altpapiercontainern gerettet oder auf Flohmärkten erworben, damit ich ihnen, meist ihrer Hülle, eine neue Existenz als Kunstwerk geben kann. Inhaltlich können, aber müssen die Darstellungen nicht zwangsläufig Bezug auf den einstigen Inhalt der Bücher nehmen.

 

Das Buch als Wissens- und Kulturspeicher oder Symbol für Gelehrtheit hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Spielen solche Aspekte für Sie eine Rolle?

Durch die zunehmende Verdrängung der mündlichen Informationsweitergabe, die sich bereits in der Erfindung der sumerischen Keilschrift andeutet und mit dem Aufkommen des Buchdrucks im 15. Jahrhundert verfestigt, war man in der Lage, Gedanken, Ideen, Ideologien glaubwürdig zu verbreiten.

Bücher mutierten zu Machtträgern, im positiven wie auch im negativen Sinn.

Abgesehen davon waren sie von jeher prachtvolle Bildträger – mittelalterliche Handschriften etwa verbreiten eine ganz eigene Magie. Gerade das Zusammenspiel von Schrift und Bild fasziniert mich an diesen alten Blättern, und bei genauerer Betrachtung findet man hier viele Parallelen zur zeitgenössischen Kunst.

 

Der Dialog zwischen Text und Bild ist eine wesentliche Konstante in Ihrem Schaffen. Mal sind es einzelne Wörter, mal Kurztexte, die Assoziationsräume eröffnen. Oft verwenden Sie Typografie aber auch nur als Gestaltungselement, da die Lesbarkeit nicht gegeben ist.

Von Anfang an findet sich Schrift in meinen Bildern. Ausgehend von verschwommenen Textfragmenten entwickelte sich das geschriebene Wort zu einem gewichtigen Element innerhalb meiner Kunst, Text und Bild wurden zu Komplizen. Geschrieben wird manuell mit Stahlfeder, horizontal, vertikal oder in matrixartigen Wortgeflechten angeordnet, oder auf meiner alten Schreibmaschine – diese Texte sind gut lesbar. Anders verhält es sich mit den codierten Texten. Diese werden immer wieder überschrieben, der gleiche Text überlagert sich selbst und wird somit unleserlich. Durch diese Unlesbarkeit entziehe ich der Sprache ihre offensichtliche Grundlage, doch der Textinhalt existiert im Schriftbild, ist kryptografisch gespeichert und somit auf einer anderen, weiter gedachten Ebene absolut real.

 

Ihre eigene Handschrift erscheint mir eher als eine »gezeichnete« Schrift und erinnert an die frühere Tradition des »Schönschreibens«. Geht es Ihnen auch um die Fokussierung auf Handschrift an sich?
Nein, mit der Kunst des Schönschreibens haben meine Arbeiten kaum zu tun, ich verwende einfach nur die kontrollierte Variante meiner Handschrift. Doch durch die Regelmäßigkeit der Schrift und deren oftmals geometrische Anordnung im Bild kommt bei vielen Betrachter:innen unweigerlich die Assoziation mit Kalligrafie auf. Dazu kommt, dass – bedingt durch technische Errungenschaften – immer weniger Menschen per Hand schreiben. So löst es bei vielen ein gewisses Staunen oder Faszination aus, wenn jemand tagelang einen Text händisch niederschreibt.

 

Sie greifen in Ihren Arbeiten ganz unterschiedliche Themen auf. Wie gehen Sie dabei vor?
Die unterschiedlichen Themen resultieren aus einer grundsätzlichen Neugier an der Welt und aus der massiven Bilder- und Informationsflut, die unweigerlich auf jeden von uns hereinbricht. Mit offenen Augen durchs Leben gehen, wieder bewusst sehen, wahrnehmen und filtern – dann ergibt sich eine uner- schöpfliche Quelle der Inspiration. Wenn man genauer hinsieht, kreist mein Werk um einige größere und kleinere Fragen des Lebens, vielfach mit einer feinen Brise Humor. Ich befasse mich mit Moral, Ethik, Politik oder Umweltverschmutzung genauso wie mit kleinen, unscheinbaren Dingen. Schlussendlich geht es ja darum, die Zeit, in der wir leben, in all ihrer Widersprüchlichkeit zu thematisieren.

 

Sie haben parallel zu Ihrem künstlerischen Schaffen auch Kunstgeschichte studiert. Fließt die historisch-theoretische Auseinandersetzung mit Kunst in ihre Arbeit ein?
Das Studium der Kunstgeschichte erweiterte mein Verständnis von Kunst enorm und gab mir wichtige Impulse für mein Schaffen. Ein breiter theoretischer Unterbau ermöglicht mir ein befreiteres Agieren in der Praxis. Die wichtigste Erkenntnis war, dass man kompromisslos an das glaubt, was man tut, dass man bereit ist, die Welt auf seine eigene Art zu sehen und diese Sicht zu teilen – allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz.

In: Helmut P. Ortner. Spekulationen, ed. by Silvia Höller, exhib. cat. Lienz: RLB Atelier; 2020, 4–7.

 

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